Der Schlafphasenwecker meines iPhones weckte mich heute wieder viel zu früh, aber das Aufstehen gelingt einfach besser, wenn man nicht in einer Tiefschlafphase vom Wecker erwischt wird. Das Programm „Sleep Cycle“ wurde mir von einem Schüler empfohlen – er nutzt es auch.
Auf dem Weg in die Schule werfe ich einen Blick auf die Statusmeldungen der Schülerinnen und Schüler.
Es ist unschwer zu erkennen, dass das gestrige 1:0 gegen Spanien an der WM alle bewegt hat. Dank den Statusmeldungen erfahre ich oft, was die Kinder so interessiert oder was sie beschäftigt. Schon manch gutes Gespräch ist dadurch entstanden. Unterwegs werden natürlich auch noch die Mails kurz gecheckt und das 20Min kurz kontaktiert.
In der Schule eröffne ich einen neuen WordPress-Blog, auf welchem die Schüler über die Neuerungen des iOS4 ab Montag berichten sollen, anschliessend bereite ich den Wochenplan der nächsten Woche vor.
Ein Viertelstunde vor Schulbeginn mahnt mich eine Erinnerung auf dem iPhone, doch noch ins Lehrerzimmer zum morgendlichen Kaffee zu gehen.
Nach dem ersten Läuten der Schulglocke gehe ich ins Zimmer zurück und werde von stolzen Schweizern empfangen – viele erzählen von ihren Erlebnissen während und nach dem Match, einer zeigt mir stolz ein Video der Huptour durch unser Dorf nach dem Natisieg. Einer zeigt mir eine Karrikatur zum Match, die er am Morgen heruntergeladen hat:
Es gäbe wohl noch viel zu erzählen, aber Wochenplanarbeit steht an und da muss ich die Schüler kaum zur Arbeit mahnen – es ist ihre Zeit und die wollen sie nutzen. Zwischen dem Erklären und Korrigieren mache ich einen kurzen Rundgang: einige arbeiten im Heft, andere schreiben am PC einen Text (und einer schaut gerade auf dem iPhone-Duden ein Wort nach), mehrere lernen Französischvokabeln, einige machen Kopfrechnen am iPhone. Eine Schülerin hört einen französischen Text auf dem iPod und löst die Übung dazu im „Cahier d’exercices“. Vor dem Schulzimmer liest ein Schüler einen Text, um ihn mit dem Voicerecorder aufzunehmen und anschliessend an mich zu mailen. Eine Schülerin übt das aktuelle Diktat via Podcast und ich ermahne sie, dass Einzelarbeiten nicht im Gruppenraum gelöst werden sollen.
Dazwischen synchronisiere ich immer wieder iPhones, denn ich möchte für den Launch des iOS4 am Montag gerüstet sein – wir sind alle gespannt, was für ein „altes“ 3G noch herausschaut.
Auf einem Elternbrief, den ich archivieren muss, hat eine Mutter noch eine Frage hingeschrieben: „Ich gehe davon aus, dass du für die Kontrolle zuständig bist.“ Ich überlege, wie ich nun der Mutter mitteilen soll, dass das so i.O. ist. Soll ich ein SMS schreiben, sie anrufen, auf den Zettel schreiben und den morgen wieder zurückverlangen? Die Schülerin hat die Idee: „Schreiben sie es hin, ich mache ein Foto und zeige es meiner Mutter.“ Perfekt – das gibt für mich keine Arbeit!
Der Wecker läutet und mahnt uns, das Schulzimmer zu wechseln (Handarbeit und Werken steht an). Die halbe Klasse geht in ein anderes Schulhaus, die anderen mit mir in den Werkraum. Dort spielt das iPhone kaum eine Rolle. Ich bin aber erstaunt, dass keiner auf die Idee kommt, die Lösung für die Aufgabe (Auto mit Parallelsteuerung) zu googeln. Bald läutet es zur Pause, einige checken noch schnell die Emails und gehen dann nach draussen. Das iPhone bleibt wie immer drinnen. Nach der Pause arbeiten alle intensiv an der Arbeit, am Ende werden noch einige Arbeiten fotografiert, damit sie zu Hause gezeigt werden können.
Es läutet, die meisten gehen nach Hause, aber einige bleiben noch und zeigen sich die neuesten Apps. Heute speziell zur WM. Dank den Schülerinnen und Schülern lerne ich viele Apps kennen, die ich auch brauchen kann. Das tolle daran ist: sie suchen fast ausschliesslich kostenlose Programme. Drei Schüler spielen noch ein virtuelles Fussballspiel – die Schweiz gewinnt mehrmals hochaus (wenn das nicht ein gutes Omen ist).
Nachdem alle gegangen sind, entdecke ich zwei iPhones in der Ladestation. Einige lassen die Geräte jeweils im Schulzimmer – manchmal sogar über das Wochenende! Nach dem letzten Wochenende zeigte mir einer sein iPhone und sagte verschmitzt: „Schauen sie mal, was passiert, wenn man das iPhone hier lässt.“ Er hatte elf Anrufe in Abwesenheit. Das ist ja unspektakulär, aber sein Umgang damit schon: Er wollte gar nicht wissen, wer es war, sondern begann am Wochenplan zu arbeiten. Ich könnte das nicht.
Nach dem Mittag treffen wir uns unüblicherweise im Nachbardorf. Ein Kind weiss nicht mehr genau wo und fragt mich per WhatsApp. Ich sende gleich allen eine Stecknadel (Ort auf der Karte) per Mail. Alle waren dort.
Auf dem Weg nach Arth proben wir den Wurf mit dem im Werken hergestellten Bumerang. Einige kriegen es nicht so gut hin und wissen nicht genau, wie die Haltung und Stellung beim Wurf ist. Ich sende ihnen dann noch ein Bild mit den Wurfpositionen und Korrekturmassnahmen.
In Arth besuchen wir die Galerie Meier und schauen die Ausstellung von meinem ehemaligen Zeichnungslehrer Franz Bucher an. Er ist begeistert, wie die Schüler die Bilder fotografieren und wie sie den Auftrag erfüllen. Anschliessend stellt sich der Künstler einem Interview, welches ich mit den Schülern am Vortag vorbereitet habe. Es sind fünf offene Fragen und die Antworten entsprechend ausführlich. Die Kinder werden dieses Interview nächste Woche niederschreiben – wir haben das bereits einmal mit einem fingierten Interview geübt. Damit sie sich erinnern können, nehmen sie das Gesprochene auf – es sah etwa aus, wie an einer wichtigen Pressekonferenz …
Im Anschluss an die fünf vorbereiteten Fragen wollen die Kinder noch ganz viel wissen. Franz Bucher stellt fest, dass die Kinder ein rechtes Vorwissen über ihn zu haben scheinen. Ein Schüler klärt auf: „Ich habe sie eben heute morgen noch gegoogelt!“
Nachdem alle ins Gästebuch geschrieben haben, lobt Franz Bucher die Schüler überschwänglich, wie sie sich interessieren, wie anständig sie waren und wie toll sie seien. Ein Lob, das auch mir sehr gut getan hat! Nach einer kurzen Rückschau auf den Nachmittag entlasse ich die Kinder vor der Gallerie und sie dürfen alleine nach Hause gehen. Eine Schülerin mahnt alle noch, dass es gemäss Niederschlagsbild der Landi-App bald regnen könnte. Ein Schüler verkündet, dass Argentinien mit 4:1 führt, ein anderer beginnt gleich auf BlickTV live mitzuschauen (die haben das wirklich erst nach dem Gallerie-Besuch nachgeschaut!).
Ich habe anschliessend noch erfahren, dass einige das „Mama-Taxi“ angerufen haben – werde das noch thematisieren müssen, denn ich finde, sie hätten ruhig laufen können! Schade, dass es Eltern gibt, die nicht merken, dass sie ihren Kindern mit diesem Gefallen eigentlich keinen Gefallen tun.
Unterwegs unterhalte ich mich mit einigen Schülern über Fussball, Orientierungslauf, den Europapark, die Brüche, die Schulverlegung und …. nicht über das iPhone. Als ich zu Hause ankomme, erhalte ich eine SMS eines Kindes, welches sich für den tollen Nachmittag bedankt. Später noch eines einer Schülerin, die mir vergessen hat zu sagen, dass sie morgen später in die Schule kommt, weil sie noch einen Zahnarzttermin hat.
Jetzt sitze ich da und schreibe dieses Posting. Es wirkt unwirklich, wie das iPhone in den Tagesalltag integriert ist. Manchmal kommt es mir fast etwas banal vor. Es ist kein Hype um das Gerät vorhanden, sondern es wird einfach eingesetzt, wo man es brauchen kann oder wo es Spass macht. Trotzdem scheint mir, dass die Kinder auch ohne das Gerät sein können. Ich glaube, da wächst eine Generation heran, die uns den Umgang mit digitalen Begleitern vorführt.
Genau so stelle ich mir hier in Deutschland eigentlich auch einen „normalen“ Schultag vor! Leider ist man hier noch meilenweit davon entfernt. Neulich kam ein Beitrag über mein Apple Gymnasium was ich hier in Düsseldorf gebaut habe. Schaut es Euch gerne mal an: http://www.videotrainingsworkshop.de/neuesamfcg.zip
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Danke für diesen schönen Bericht aus dem Schulalltag. Gerade weil sich euer Betrieb so selbstverständlich anhört, ist er etwas Besonderes. Ich lese immer wieder gerne darüber, wie ihr an der Projektschule arbeitet.