Vor vier Monaten verteilte ich den neuen Schülerinnen und Schülern das iPhone und hatte eigentlich keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Weil das Nachrichtenmagazin 10vor10 zum Start des Projekts einen Beitrag sendete, war das iPhone-Projekt Knall auf Fall landesweit bekannt und wurde teils heftig diskutiert. Ich war in der Folge damit konfrontiert, auf alle möglichen Anschuldigungen nicht reagieren zu können. Der Bericht von 10vor10 suggerierte, vielleicht auch etwas absichtlich, dass die Kinder unkontrolliert Webseiten konsumieren können und pausenlos telefonieren dürfen. Diese beiden Hauptvorwürfe der Kritiker kann ich mittlerweile entkräften. Einerseits wird während dem Unterricht gar nicht telefoniert und ausserhalb des Unterrichts recht wenig (siehe Blogeintrag), andererseits darf ich aufgrund von Kontrollen den Kindern attestieren, dass sie sich vorbildlich an die Regelung „Ich suche nicht nach pornografischen, sexuellen und gewalttätigen Seiten. Wenn ich zufällig auf eine solche Seite gelange, verlasse ich sie umgehend und melde es der Lehrperson.“ halten.
Vertrag
Sehr oft musste ich hören, dass die Kinder schon Wege und Möglichkeiten finden werden, um jugendgefährdende Inhalte zu konsumieren. Bei einer derart misstrauischen Haltung gegenüber heranwachsenden Kindern könnte das schon zutreffen. Seit ich unterrichte, versuche ich die Schüler als gleichberechtigtes Gegenüber zu behandeln, welches sich grundsätzlich korrekt verhalten will und gerne etwas lernt. Auf diesem Weg braucht es Unterstützung und ab und zu auch die Erinnerung an gewisse Leitplanken, dann klappt das sehr gut. Ein Kind braucht das Vertrauen von erwachsenen Personen, nicht ein grundsätzliches Misstrauen. Im gegenseitigen Vertrauen haben wir einen Vertrag ausgearbeitet und dafür sehr viel Zeit aufgewendet. Wahrscheinlich gibt es eine Vielzahl misstrauischer Erwachsener, die den Kindern die Einhaltung der Regeln nicht zutrauen – nach zwei Monaten mit dem Vertrag darf ich sagen, dass es noch keinen gravierenden Verstoss dagegen gegeben hat. Ich traue den Kindern auch in Zukunft die Einhaltung des Vertrages zu.
Unterricht
Wir sind trotz zeitlichem Mehraufwand für den Vertrag und die medienpädagogische Bildung (zum Beispiel mit Handyprofis) im Lehrplan auf Kurs. Ich habe alle Inhalte wie mit Vorgängerklassen durchgenommen und die Leistungstests sind gut bis sehr gut ausgefallen. Das iPhone wurde, wie im Vorfeld auch erwartet, zu einem weiteren Unterrichtsmittel und wird sinnvoll eingesetzt. Die Schüler üben das 1×1, büffeln Franz- und Englischvokabeln, üben Diktate via Podcast, informieren sich im Internet und kontrollieren die Rechtschreibung mit dem Lexikon. Diese Sachen machen übrigens viele Schüler auch zu Hause freiwillig. Daneben sind noch viele weitere Programme und Aktivitäten mit dem iPhone durchgeführt worden, einige Beispiele: iMotion, Schulreise, Animoto (Beitrag folgt). Von mir aus gesehen sind die Schülerinnen und Schüler im Bereich 1×1 und in der Aussprache von Französisch deutlich besser als Vorgängerklassen. Diesen subjektiven Eindruck werde ich in einem späteren Blogposting behandeln.
Kommunikation
Ich habe zur momentanen Klasse ein sehr gutes Verhältnis und vielfältigere Kontakte. Nach fünf Monaten habe ich bereits doppelt so viele E-Mails erhalten wie in den Vorgängerklassen in zwei Jahren! Die Schülerinnen und Schüler lassen mich und ihre Klassenkameraden an ihrem Leben teilhaben und das finde ich wertvoll für unsere Beziehungen untereinander. Wir tauschen uns oft via Chat oder mit Meldungen über Whatsapp aus. Wenn etwas nicht reibungslos geklappt hat, informiere ich die Eltern viel schneller, weil ich via iPhone des Kindes die Eltern gut erreichen kann. Und an alle Kritiker: ja, wir sprechen auch normal und ohne iPhone oft miteinander – sogar öfter, weil wir dank den Chatkontakten, Whatsappmeldungen und E-Mails mehr Berührungspunkte haben, die wir dann jeweils auch noch mündlich besprechen wollen.
Beschwerde
Ein Verein namens „Gigaherz“ hat aufgrund des 10vor10 Berichts gegen unser Projekt eine Beschwerde beim Erziehungsrat eingereicht, auf welche aber nicht eingetreten wurde. Der Verein wirft uns vor, dass wir Kinder vorsätzlich fahrlässig verletzen. Paradoxerweise wissen ja meine Schülerinnen und Schüler überdurchschnittlich viel über gesundheitsschädigende Aspekte der Mobiltelefonie und man sich dagegen schützen kann – das machen gleichaltrige Handybenutzer wahrscheinlich nicht. Die Bearbeitung dieser Beschwerde und der Druck auf mich als Lehrer, aber auch auf die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern war recht belastend. Ich bin froh, dass die Schulleitung, der Schulrat, der Gemeinderat und der Erziehungsrat unser Projekt stützen. Ich wünschte mir von Kritikern mehr den Dialog, statt die Konfrontation.
Chancengleichheit
Ein Aspekt des iPhone-Projekts, den ich im Vorfeld nicht erwartet habe, ist die gestiegene Chancengleichheit. Kinder die zu Hause auf weniger Unterstützung zählen können, haben dank dem iPhone bessere Möglichkeiten. So war es bisher für ein fremdsprachiges Kind schwieriger, ein Diktat zu üben, weil es die Eltern nicht vorlesen konnten. Mit dem iPhone haben sie jederzeit Zugriff auf den aktuellen Podcast. Dasselbe gilt für die Fremdsprachen Englisch und Französisch – nicht alle haben Eltern, welche diese Sprachen beherrschen.
Fazit
Kurz und bündig: Ich würde das Projekt wieder starten und freue mich auf die nächsten Monate.