An der Tagung „Apps & Games“ hielt ich einen Vortrag mit dem Titel „Kamera, Voicerecorder, Stoppuhr, … – braucht ein Smartphone überhaupt noch zusätzliche Apps?“ Ich wollte aufzeigen, dass Apps nicht so wichtig sind, sondern die Funktionen der Geräte zentral sind. Offensichtlich scheint mir dies nicht so gelungen zu sein, denn Jürg Fraefel geht in seiner Nachlese auch auf meinen Vortrag ein. Auf seine Frage, was wir denn nebst typischen herkömmlichen Inhalten noch vermitteln, war ich überfragt. Die relevanten Beispiele wollten mir einfach nicht einfallen. Er wollte wissen, wo denn die problembasierten, kooperativen und situierten Anwendungskontexte zu finden seien.
In seiner Nachlese schreibt er: „Aus Kärtchen (vorne Deutsch, hinten Französisch) wird Flashcard und anstatt der Banknachbarin, die das Diktat diktiert das iPhone. – War’s das?“
Nein, das wars nicht und wird es auch in Zukunft nicht gewesen sein. Ich habe, um beim nächsten Referat auf so eine Frage besser gewappnet zu sein und natürlich auch aus Eigeninteresse, unsere 250 Blogeinträge angeschaut und nach dokumentierten Beispielen gesucht, die eben nicht den herkömmlichen Unterricht nachbilden.
Einige tolle Beispiele habe ich gefunden, wo die Kooperation unter den Schülerinnen und Schüler im Vordergrund steht, da wäre mal das Tandemlesen, was zugegeben auch ohne iDevice möglich wäre. Der Unterschied ist aber, dass die Tandems ihre Texte auch aufnehmen und dem Lehrer senden. So hat dieser mehr Zeit, sich der Interaktion mit einzelnen Kindern zu widmen. Im Post (un-)wahrscheinlich praktisch wird beschrieben, wie eine herkömmliche Situation dank iPad plötzlich kollaborativ angegangen wird. Auch bei Spass darf sein ist ersichtlich, dass die Schüler gemeinsam etwas kreieren. Die Beschreibung von La chasse au trésor zeigt auf, dass produktives Handeln kooperativ umgesetzt wird und bei Hörst du wie die Flammen flüstern? haben sich die Drittklässler wahrscheinlich im Resultat der gemeinsamen Arbeit deutlich von herkömmlich unterrichteten Schülern abgehoben. Dass medienpädagogische Inhalte auch gemeinsam verarbeitet werden können und so sicher besser in Erinnerung bleiben, zeigt der Rap Handyprofis.
Die Kommunikation in unseren Klassen ist aus meiner Sicht ein gewichtiger Unterschied, übrigens auch für die Schüler sehr wichtig. Sie kommunizieren gegenseitig sehr oft und lernen dabei, worauf man auch noch achten sollte, herrlich beschrieben im Beitrag von Padi. In der 5. Klasse haben die Schülerinnen und Schüler ein Projekt, sich gegenseitig vorzustellen und zu charakterisieren. Die möglichen Charaktereigenschafen wurden zuerst einzel gesammelt auf einem Wiki, anschliessend in Gruppen kooperativ mit Placemat-Methode bearbeitet, zusammengefasst und präsentiert. Die gegenseitige Beschreibung wurde auf einem Blog, der natürlich nicht öffentlich ist, geschrieben und vor allem anschliessend auch gelesen und kommentiert. Auch die Schulreise und Schulverlegung wurden zeitnah dokumentiert und gegenseitig kommentiert. Die Schüler lassen andere vermehrt an ihrem Leben teilnehmen und nehmen auch vermehrt am Leben der anderen teil.
Im Bereich der Kreativität gibt es schöne Beispiele, die teils alleine, teils in Gruppen konzipiert waren. Die Stop-Motion-Filme als Unterrichtsprojekt mit Geschichten erfinden, Storyboard schreiben, Basteln und Filmen waren komplex und konnten nur kooperativ gelöst werden. Die Diskussion über Migros-Kinder-Anwerbeaktionen war ein schönes Beispiel der Vernetzung von Diskussion über ein Thema, worauf anschliessend ein kreativer Umgang mit der Problematik herausschaute. Dass die Kamera den Unterricht verändert, habe ich schon separat beschrieben, ergänzend möchte ich aber erwähnen, dass bei den Ornamenten und Gesichtern die Resultate sehr kreativ waren, die Schüler dank Kamera endlich kaum mehr Mühe mit der Zentralperspektive hatten, der Museumsbesuch und der Besuch in der Kunstgallerie nicht nur interessanter abliefen, sondern auch im Anschluss zu Kreativität anregte.
Dass die Schülerinnen und Schüler viel öfter ihre eigenen Lösungen, Ideen und Gedanken präsentieren, fiel mir mit der Zeit gar nicht mehr auf, weil es eben digitaler Alltag war, dass unser Beamer demokratisch eingesetzt wurde. So wurde ein Familienstammbaum plötzlich interessant, Tipps und Tricks zuerst in der Klasse und anschliessend sogar in einem Blog, bzw. an Tagungen geteilt, längere Vorträge aber auch kurze Statements mit Präsentationen untermalt. Das Wochenende war nicht eine langweilige Erzählung, sondern dank Bild und Video gegenseitiges Teilhaben.
Der letzte Punkt, wo ich einen grossen Unterschied zu „früher“ feststellen darf, ist der beinahe automatische Erwerb von Medienkompetenz. Die Schülerinnen und Schüler konnten nach kurzer Zeit das Gerät kompetent und vor allem sinnvoll einsetzen. Dass sie das individuell anders gehandhabt, Gamesucht nicht nur nervig war, sondern im Unterricht thematisiert wurde und sie sich gemeinsam einen Vertrag erarbeiteten – das macht einen gewaltigen Unterschied. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Mailen, Recherchieren, Umgang mit Passwörtern, das Recht am eigenen Bild, Cybermobbing und weitere Medien-Themen immanent präsent waren.
Nach zwei Stunden surfen in der eigenen Projektvergangenheit bin ich mir selbst erst wieder bewusst geworden, wie vielfältig unsere Einsatzszenarien waren – und wie leicht man dies im digitalen Alltag vergisst.
Digitale Geräte führen nicht dazu, dass traditionelle Unterrichtsinhalte ganz verschwinden. Durch die oben genannten Unterrichtsszenarien werden sie jedoch weniger wichtig. Kopfrechnen, Rechtschreiben, Vokabelnbüffeln, etc. wird auch in Zukunft zum Unterricht gehören und nimmt wahrscheinlich zeitlich auch mehr Zeit in Anspruch, als das problembasierte, kooperative und situierte Anwenden von ICT. Dass ein iDevice dabei aber unheimlich praktisch ist, darf man nicht vergessen. Es entlastet die Lehrperson, die dadurch Zeit gewinnt, um vermehrt interaktiv mit Schülerinnen und Schülern zu agieren. Ich kann als Lehrperson nie so effizient üben lassen, wie das digitale Gerät und dieses wird im Gegensatz nie so emphatisch zum Schüler sein, wie ich – nutzen wir doch diese Vorteile!